Corporate Social Responsibility (CSR) hatte sich spätestens seit der Jahrtausendwende etabliert, um die Marke und das Unternehmen in ein positives Licht zu rücken. Prinzipiell geht es hier um „Tue Gutes, und rede darüber!“. Firmen unterstützten soziale Initiativen, spendeten Geld oder Produkte, und sprachen darüber auf ihren Webseiten und in den sozialen Medien. Im Idealfall sprang sogar noch der ein oder andere Zeitungsartikel dabei heraus.
In jüngster Zeit ist jedoch ein Trend zu beobachten, der sich zuerst in der Medien- und Unterhaltungsindustrie breitgemacht hatte und jetzt von mehr und mehr Firmen aufgegriffen wird. Mit den Buzzwords Representation, Inclusion, Diversity oder Toxic Masculinity (#metoo) wurden Begriffe für positives und negatives Verhalten aus den modernen Sozialwissenschaften aufgegriffen und dazu benutzt, Verhaltensweisen der Konsumenten über Kommunikation (Text, Video/Audio, Filme, Werbung etc) aktiv zu beeinflussen. Diese Vorgehensweise wird auch gerne als „virtue signaling“ bezeichnet, aber dazu später mehr. Das im Januar 2019 prominenteste Beispiel ist der „Kurzfilm“ aus der neuen Gillette Marketingkampagne, mit der sich das Unternehmen ein neues Image geben will.
Es lässt sich bei einer Analyse des Clips feststellen dass jeder einzelne der vorher angesprochenen Begriffe sorgfältig integriert wurde und ein mehr als deutliches Messaging stattfindet. Soweit, so gut. Was nach Veröffentlichung des Clips passierte war jedoch beachtenswert: Während die Zeitungs- und Newsseiten hauptsächlich positiv auf das neue Markenimage von Gillette und den Film reagierten, entstand in den sozialen Medien ein aufgebrachter Diskurs und „perfect Shitstorm“ unter den Nutzern über den Effekt des Spots. Zusammengefasst werfen Feministinnen und Feministen den Nutzern, die ihre Kritik an dem Spot äußern (bis zum aktiven Aufruf zu Kaufboykott und Fotobeweise der Entsorgung von Gillette Produkten), eben die im Clip kommunizierte „toxic masculinity“ vor.
Ursprünglich wollte ich einen deutlich längeren Beitrag schreiben, kann aber dankenswerterweise auf den unbedingt lesenswerten Forbes-Artikel von Charles Ray Taylor verweisen. Zusammengefasst argumentiert Taylor mit 3 Punkten:
- Social Responsibility kann effektiv wirken, aber Unternehmen müssen darauf vorbereitet sein, dass Konsumenten ihre Motive kritisieren respektive schlichtweg nicht „erzogen“ werden wollen von einem profitorientierten Unternehmen
- Es kommt auf die Art der Erzählung an: Die Botschaft sollte grundsätzlich positiv und ermunternd erzählt werden, nicht im Stile einer „Kids, don’t do drugs“ oder „Don’t drink & drive!“ – Kampagne
- Politisch aufgeladene Sprache sollte von kommerziellen Werbern unter allen Umständen vermieden werden
Was bei Gillette erschwerend hinzukommt ist die Tatsache dass das Unternehmen in jüngster Zeit heftig kritisiert wurde für die sogenannte „pink tax“ d.h. grundsätzlich höhere Preise für nahezu identische Hygieneprodukte für Frauen zu verlangen, und dass im Zuge des aktuellen „Shitstorms“ Fotos eines Gillette Racing Sponsorings von ca. 2011 ausgegraben wurden, die das Unternehmen in einem sexistischen Lichte stehen lassen. Hier ergibt sich ein schweres Glaubwürdigkeitsproblem, das bislang noch nichtmal von der Unternehmenskommunikation adressiert wurde – Gillette sind einfach stumm geblieben.
Ein weiterer Faktor, den nach wie vor viele Unternehmen nicht im Blick haben, ist die Angreifbarkeit durch Konkurrenten: wenn sie aufgrund eines Fehlverhaltens einen Shitstorm auslösen wird es immer ein anderes Unternehmen mit Kreativagentur geben, das auf den Zug aufspringt, sie möglicherweise komplett blamiert, und ihnen die abtrünnigen/verärgerten Kunden abjagt. Hierzu auch ein aktuelles Beispiel als direkte Reaktion auf den Gillette Kampagnenspot, zwar nicht von einem direkten Konkurrenten (Nivea, Wilkinson, Philips etc. brüten wohl noch über Kreativkonzepten…) aber immerhin von einem Hersteller von edlen Herrenuhren:
Merken sie den Unterschied im Messaging? Ich habe sogar noch ein Beispiel für sie, das sie überraschen dürfte: Ein Audi Werbespot aus den 90ern(!), der schon damals die „bösen alten weißen Männer“ mit einem Schmunzeln im Gesicht darauf hinwies, dass man Frauen auch und gerade am Steuer sehr wohl respektieren soll:
Zusammenfassung (tl;dr): Verwechseln sie Social Responsibility nicht mit Social Justice. Seien sie immer 100% glaubwürdig. Und wenn sie Mißstände anprangern wollen bzw. dann doch etwas „belehrend“ werden müssen, denken sie an ihre eigene Kindheit: Selbst die bitterste Medizin lässt sich schlucken, wenn sie auf einem Zuckerwürfel eingenommen wird. Deshalb: Bleiben sie positiv und zeigen sie ihrem Kunden immer und an jeder Stelle, dass sie ihn verstehen, respektieren und unglaublich gerne haben. Denn dieser Kunde, egal wie er sich verhält, zahlt schlussendlich ihr Gehalt.
Das letzte Wort möchte ich kurz und prägnant Clay Routledge sprechen lassen, seines Zeichens Professor für Verhaltenswissenschaften und NY Times Kommentator:
Well said.
Ein Gedanke zu „Social Responsibility versus Social Justice – Unternehmenskommunikation am Scheideweg“